Die 2. Bundesliga nimmt am 28. Juli 2023 wieder den Spielbetrieb auf. Das Saisoneröffnungsspiel bestreiten am Freitagabend Absteiger Schalke 04 und der Hamburger SV. Die Arena auf Schalke wird sicherlich, trotz Urlaubszeit und so manchem Provisorium im Kader ausverkauft sein. Das Transferfenster schließt für die Teilnehmer an der 1. und 2. Bundesliga erst am 1. September. Bis dahin darf noch gekauft und verkauft werden. Ihre endgültige Kaderliste können die Vereine des Unterhauses also erst am 5. Spieltag vorlegen.
Für Hertha BSC trifft das im besonderen Maße zu. Der Absteiger befindet sich nach eigenem Bekunden noch immer auf dem Weg in die Intensivstation. Ein überteuerter Kader, leere Kassen und dazu ein aufgeblähter Bestand an Angestellten, die Verantwortungsträger sind wahrlich nicht zu beneiden. Mit hängen und würgen wurde nach dem Desaster, sportlich wie finanziell, die Lizenz erteilt, die Sorgen wurden nicht kleiner. Die Konkurrenz nutzt Herthas Notlage aus, so ist nun einmal das Geschäft. Bestes Beispiel ist hierfür der Wechsel von Lucas Tousart zu den Eisernen, die mit der kolportierten Sockelablöse von 3 bis 4 Millionen ein richtiges Schnäppchen gemacht haben dürften. Im Gegenzug ist das für Hertha riesiges Verlustgeschäft, Tousart war einst für 25 Millionen nach Berlin geholt worden. Hoffnung auf einen wärmeren Geldsegen besteht bei Dodi Lukebakio, aber wie gesagt, die Notlage, dabei brauchen sie dringend das Geld für weitere Neuverpflichtungen. Auf dem Wunschzettel steht mit Diego Demme ein Spieler, der aktuell Hertha finanziell überfordert.
Egal wie, es muss gespielt werden, der erste Gegner wartet am Samstag, 29.07.2023 in Düsseldorf. Die Fortuna ist nicht das, was als Laufkundschaft bezeichnet werden kann, eher im Gegenteil, sie werden als Geheimfavorit für den Aufstieg gehandelt.
Die sportliche Perspektive für die Hertha liegt nach aktuellem Stand im Unscharfen. Einer, der die 2. Liga sehr gut kennt, als ehemaliger Spieler und jetzt als TV-Experte für Sky, Torsten Mattuschka kann nur von der Wundertüte reden. Die Chancen für einen direkten Wiederaufstieg schätzt er bei maximal 45% ein. Selbst dieser Wert scheint sehr optimistisch zu sein. Die Vorbereitung lief nicht schlecht, zum Abschluss, die Generalprobe gegen den belgischen Erstligisten Standard Lüttich brachte ein beachtliches 1:1. Überzeugen konnte die Abwehr, die Probleme lagen im Spielaufbau. Es fehlte in beiden Halbzeiten, bei wechselndem Personal, eine ordnende Hand im Mittelfeld.
In der Abwehr ist Hertha bereits jetzt gut besetzt. Hier hat Neuzugang Toni Leistner in der Vorbereitung einen starken Eindruck hinterlassen. Er dürfte – vor allem als rechter Innenverteidiger – in der von Trainer Pal Dardai bevorzugten 4er-Abwehrkette einen Stammplatz sicher haben. Eine Baustelle ist dagegen die Torwartposition. Hier war Rückkehrer Marius Gersbeck als potenzielle Nummer Eins vorgesehen. Aktuell ist er suspendiert, bis der Vorfall im Trainingslager geklärt ist. Kommt er zurück oder muss sich Hertha nochmals umsehen? Im Kader steht mit Oliver Christensen noch der Torwart aus der letzten Bundesliga-Saison, hütete gegen Lüttich in der 1. Halbzeit den Kasten und hielt die Null, sein Gehalt soll gespart werden und auf die Ablöse ist man außerdem angewiesen. Sollte allerdings Gersbeck suspendiert bleiben, müsste entweder Christensen bleiben oder erneut nach einem erfahrenen Keeper gesucht werden. Alexander Schwolow spielt in den Planungen keine Rolle mehr, er soll Hertha in jedem Fall verlassen. Der talentierte Tjark Ernst würde zur Verfügung stehen, dahinter gibt keinen Ersatz, sollte er mal nicht einsatzfähig sein.
Das Mittelfeld, offensiv wie defensiv, ist die noch größte Baustelle, die ewige Frage auch hier wer bleibt, wer geht und kommt noch einer. Gegen Lüttich versuchten sich Pascal Klemens (eigentlich Innenverteidiger) und Marton Dardai auf der Doppelsechs.
Am Montag, 24.07.2023, meldete der Kicker, dass Palko Dardai (der älteste Trainer-Sohn) nach Berlin zurückkehrt. Somit ist der Name Dardai bei der Hertha wieder viermal vertreten. Palko Dardai ist ein Offensiv-Allrounder und spielte zuletzt in der ungarischen Liga.
Jetzt wird es ernst für die schwer angeschlagene „Alte Dame“ und vielleicht verläuft der Start ja besser als gedacht. Die gezeigten Leistungen in der Vorbereitung, hier ist vorrangig das disziplinierte und kompakte Auftreten zu loben, geben Anlass optimistisch zu sein. Zudem könnte es hilfreich sein, dass Hertha nicht zu den großen Favoriten gehört.
Hans-Peter Becker