Atavismus beim Spiel gegen Frankreich

Am Mittwoch, 23.07.2025, im Halbfinale der EM 2025 in der Schweiz wird sie es nicht wiederholen können. Die „Sünderin“ Kathrin Hendrich sah im Viertelfinale die Rote Karte im Spiel der Deutschen Frauen gegen Frankreich. Bei denen hatten erstaunlich viele Spielerinnen ihr Haupthaar kunstvoll verlängert. Und das war wohl der Schlüsselreiz für Hendrich bei einer Hereingabe den Zopf einer Französin zu packen. Weil das im Strafraum geschah, gab es bekanntlich schon zu Beginn Elfmeter – und der Platzverweis folgte obendrein. Ein glückliches Ende später im Entscheidungsschießen (6:5, n.V.) auch.

Was aber gab den Anlass, der diese erfahrene Spielerin (33) in einen „Blackout“ trieb? Ich erinnere mich gut, wie in unseren Reihen bei der B-Jugend meines Vereins ein athletischer Spieler, der in vielen Sportarten begabt war, ausgerechnet im Fußball von besorgten Mitspielern oft ermahnt werden musste. „Aki, nicht Hand!“, hieß es dann. Nicht nur einmal hatte er zuvor im Strafraum einen auftauchenden Ball in die Hand nehmen wollen. Es schien, als hätte er vergessen, dass wir nicht Handball sondern Fußball spielten. Irgendetwas im Innern schien stärker als Vernunft und Regelkunde.

Dieses atavistisches Verhalten (also das Wiederauftreten von Merkmalen oder Verhaltensweisen aus der Entstehungsgeschichte) wie unbewusstes Handspiel, (Reflex‑)Zurückschlagen oder Anspucken verdeutlichen: Spieler handeln häufig spontan und erst nachträglich realisieren sie die Konsequenzen. Eine legendäre Spielszene, wenn nicht die bedeutendste überhaupt, ist wohl Maradonas „Hand Gottes“ 1986 bei der Weltmeisterschaft im Duell gegen England gewesen. Maradona nutzte reflexartig seine Hand, um ein Tor zu erzielen. Erst Jahre später räumte er ein: „Es war ein bisschen Maradonas Kopf und ein bisschen die Hand Gottes.“

Es gibt viele Fälle in hitzigen Derbys, wo Spieler nach einem Schlag reflexartig zurückhauen – meist nur als Kurzschlussreaktion, selten bewusst geplant. Luis Suárez, der Nationalspieler aus Uruguay, biss Gegenspieler gleich mehrfach – ein klassischer Fall atavistischer Aggression, entstanden ohne rationale Planung, sondern aus einer Mischung aus Stress und Siegerinstinkt. Geht es um Handspiel, ist das Verhalten oft ein Schutz- oder Abwehrreflex. Spielszenen wie Maradonas „Hand Gottes“ oder manch auch unabsichtliches Handspiel zeigen deutlich, wie instinktiv diese Reaktionen sein können – und manchmal höchste sportliche Tragweite haben.

Trotz aller Professionalisierung bleibt also immer noch die menschliche, weil uralte Verhaltensweise dicht unter der Oberfläche. Wie angenehm, denn so bleibt gewährleistet, dass wir bis auf Weiteres keine perfekt programmierten Kunstwesen auf den Spielfeldern zu erwarten haben.

Frank Toebs

Anmerkung der Redaktion: Kathrin Hendrich wurde von der UEFA nur für ein Spiel gesperrt. Sie wäre in einem möglichen Finale gegen England wieder dabei.

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