Die Schere zwischen den beiden Proficlubs aus der Hauptstadt klafft immer mehr auseinander. Die Köpenicker sind im internationalen Geschäft und haben aktuell sogar die Champions-League im Visier. Hertha kämpft um das sportliche Überleben in der 1. Bundesliga und steht finanziell eher am Abgrund.
Eine mittelmäßige Leistung reichte den aufstrebenden Köpenickern, um den Lokalrivalen in Schach zu halten. Die Reaktion der Führungsetage, der Hertha sorgte zunächst für Verwunderung. Öfter mal was Neues, nicht der Trainer musste gehen, sondern sein Vorgesetzter. Eine Entscheidung, die nicht angesichts der Derbyniederlage spontan gefällt wurde, sondern wohlüberlegt, bereits vorher feststand. Fredi Bobic wäre auch im Falle eines Sieges freigestellt worden.
Ein sichtlich gezeichneter Hertha-Präsident erläuterte die Maßnahme am Sonntag, 29.01.2023, auf einer Pressekonferenz. Ein designierter Nachfolger wurde gleich präsentiert. Die Hertha DNA soll es jetzt richten. Neben Weber wurde auch Andreas „Zecke“ Neuendorf zurückgeholt. Allerdings ist zu fragen, ob solch ein Schritt, zu diesem Zeitpunkt nicht zu große Risiken birgt. Benjamin Weber verfügt über keinerlei Erfahrung als Sportdirektor, muss sich schnell einarbeiten und zunächst mit dem klarkommen, was Bobic und seine Entourage angerichtet haben.
In der Journaille schießen die Spekulationen ins Kraut. Es war bekannt, dass Kay Bernstein und Bobic nicht das allerbeste Verhältnis zueinander hatten. Zudem soll der Präsident öfter versucht haben, sich in sportliche Entscheidungen einzumischen. Konkret soll es Vorschläge für Spielertransfers gegangen sein. Als Beispiel wird hier der vertragslose Max Kruse angeführt.
Fredi Bobic soll der bestbezahlteste Manager in der Bundesliga gewesen sein. Dazu hat er einen ganzen Stab an Mitarbeitern mitgebracht. Mit Bobic müssen auch der Technische Direktor Sebastian Zelichowski und Teammanager Thomas Westphal gehen. Es sind vielleicht nicht die Letzten, den um die Finanzen ist es alles andere als gut bestellt. Bleiben darf (wie lange?) der Kaderplaner Dirk Dufner. Gerüchteweise sollen bis zum Transferschluss noch vier neue Profis kommen.
„Auf dem Zettel stehe etwa der offensive Mittelfeldspieler Selim Amallah von Standard Lüttich – der belgische Spitzenklub wurde im März vergangenen Jahres von 777 übernommen. Auch Stürmer Maximilian Philipp (VfL Wolfsburg), Flügelspieler Gauthier Hein (AJ Auxerre) und Innenverteidiger Jannik Vestergaard (Leicester City) seien ein Thema in der Hauptstadt. Da lediglich ein Budget von fünf Millionen Euro zur Verfügung stehe, sei allerdings unklar, wie die Transfers realisiert werden könnten.“
Egal wie, die Entscheidung hat überrascht und vielmehr der Zeitpunkt. Man hätte diese Entscheidung eher am Saisonende erwartet. Allerdings spielte hier wohl auch eine Rolle, dass Bobic seinen bis 2024 laufenden Vertrag selbst per Option hätte verlängern können. Dieses Geld hat Hertha nicht. Eine Abfindung wird trotzdem fällig werden.
Der neue Sportdirektor dürfte in den nächsten 48 Stunden kaum zum Schlafen kommen, muss sich ganz schnell einen Überblick verschaffen und die richtigen Entscheidungen treffen, eben ein Spiel mit dem Feuer. Es müssen wieder Erfolge her, irgendwie Punkte gesammelt werden, der Blick auf die bevorstehenden Aufgaben, Eintracht Frankfurt (auswärts), Gladbach daheim und anschließend Borussia Dortmund wieder auswärts, wie viele Punkte mag das geben?
Hans-Peter Becker