Zwischenzeitlich standen wir im Regen, fast symbolisch das Bild vom Bundestrainer in Regenjacke mit über-gezogener Kapuze. Zweimal rannte seine Mannschaft einem Rückstand hinterher, mehrfach drohte das Aus im Turnier. Frankreich verwaltete und riss sich für die deutschen Nachbarn nicht unbedingt ein Bein aus.
Es ging gut aus. Das Spiel der Ungarn erinnerte mich an Spiele des 1. FC Union. Die Ungarn zelebrierten die Kunst des Verteidigens. Nicht auszudenken was hätte passieren können, wäre Ungarn Torwart beim 1:1 Ausgleich nicht der Patzer unterlaufen. Andras Schäfer, der sein Geld in der Slowakei verdient, besorgte postwendend die erneute Führung. Erst in der 84. Minute erlöste Leon Goretzka das deutsche Team. Bittere Tränen bei den Ungarn und verhaltene Freude auf der anderen Seite. Mit anderthalb blauen Augen davon gekommen würde ich sagen.
Ungarn Trainer Marco Rossi, früher selbst Abwehrspieler, hatte seine Mannschaft optimal eingestellt. In einem 5-3-2 System machten sie der Löw-Truppe das Leben schwer. Ohne Außenverteidiger und einen defensiven Mittelfeldspieler (einen Sechser) gab es auch nicht, wirkten die Angriffsversuche mit zunehmender Spieldauer immer verzweifelter. Zudem fehlte ein echter Mittelstürmer, ein Brecher im Strafraum. Serge Gnabry und Leroy Sane standen sich zu oft im Weg. Kai Havertz schoss zwar das Tor zum zwischenzeitlichen 1:1 blieb ansonsten schwach.
Das alles ist jetzt egal. Das Achtelfinale ist erreicht. Im Wembley-Stadion warten die Engländer, die genau wie die Deutschen, bisher alles andere, als überzeugt haben. Es wird ein Spiel, an dem, im Gegensatz zum letzten Gruppenspiel, beide teilnehmen wollen. Mit dem Einzug in die Ko.-Runde ist dem scheidenden Bundestrainer der Ausstand gelungen und vielleicht geht es ja noch weiter.
In Berlin erstrahlte das Olympia-Stadion in den Regenbogenfarben, als Zeichen gegen Homophobie und Diskriminierung. In München wurde das nicht erlaubt. Für die Dauer der EM hat die UEFA das Hausrecht und politische Äußerungen untersagt. Der Fußball, speziell im Profibereich, sollte nicht für politische Zwecke missbraucht werden. Egal wie berechtigt ein Anliegen sein mag. Es geht hier um den Sport.
Fast ein bisschen untergegangen ist die Meldung, dass Hertha BSC Kevin-Prince Boateng verpflichtet hat. Während der EM sitzt er im Fernsehstudio. Die Verpflichtung zeigt, dass bei der „Alten Dame“ in den letzten Jahren vieles schiefgelaufen ist. Eigentlich hat Hertha andere Ansprüche, als Prince Boateng einen hoffentlich gelungenen Karriereabschluss zu ermöglichen. Für die Kabine ist er auf jeden Fall eine Bereicherung. Auf dem Platz wird sich das noch zeigen. Hertha nimmt hier eine Anleihe vom Ortsrivalen, die Verpflichtung von Christian Gentner folgte einer ähnlichen Intention.
Hans-Peter Becker