Über dreitausend Anhänger des 1. FC Magdeburg hatten den Weg nach Berlin, in den Jahnsportpark gefunden. Sie wurden vor dem Spiel mit Ihrer Hymne begrüßt und der Stadionsprecher erinnerte vor Bekanntgabe der Mannschaftsaufstellungen an die große Tradition des aktuellen Spitzenreiters der 3. Liga. 1974 gewann der 1. FCM überraschend den Europapokal der Pokalsieger unter dem legendären Trainer Heinz Krügel. In Rotterdam wurde vor einer Minuskulisse von nur 4.644 Zuschauern der Titelverteidiger AC Mailand mit 2:0 geschlagen. Es war die Mannschaft um Kapitän Manfred Zapf, zusammen mit Jürgen Sparwasser, Wolfgang „Paule“ Seguin, Joachim Streich und und. Unter denen, die sich am 4. April 2022 in der Fan-Kurve im Jahnsportpark eingefunden hatten, waren viele 1974 noch nicht auf der Welt.
Ein kleines bisschen ähnelten sich die äußeren Umstände, Flutlicht, kein gutes Wetter, ein für die Anzahl der Zuschauer zu großes Stadion und ein klarer Favorit traf auf einen Außenseiter. Offiziell waren es 4.334 Fußballfreunde, die bereit waren, eine Eintrittskarte zu kaufen. Viktorias Trainer Farat Toku hatte sich eine dicht gestaffelte Defensive ausgedacht. Es war über weite Strecken ein 5-4-1 System, den Magdeburgern wurde sogar großzügig das Mittelfeld überlassen. Vor dem eigenen Strafraum ging es dann ordentlich zur Sache. Im Tor der Viktorianer stand Philip Sprint. Die eigentliche Nummer eins, Julian Krahl laboriert seit dem Spiel in Osnabrück an einer Patellasehnenreizung.
Der 1. FCM ergriff sofort die Initiative und ließ die Himmelblauen nicht über die Mittellinie. Es dauerte bis zur 15. Minute, da fasste sich Moritz Seiffert ein Herz und holte einen Eckball für Viktoria heraus. Nur drei Minuten später startete Viktoria den zweiten Versuch, den Ball in die Magdeburger Hälfte zu bringen. Dabei wird Franck Evina von den Beinen geholt, Freistoß halblinks aus 25 m Torentfernung. Der Gefoulte bringt den Ball gefühlvoll in den Strafraum und dort steht Jakob Lewald gold-richtig, kann seine 1,94 m Körpergröße einsetzen, sein Kopfball landet im Tor. Das war die völlig überraschende Führung.
Die Magdeburger versuchten zu antworten und vergaben gute Möglichkeiten. Bis zur Halbzeitpause hatte Magdeburgs Keeper Dominik Reimann einige Mühe, sich warmzuhalten. Beim Gang in die Halbzeitpause zeigte die große Anzeigetafel die überraschende 1:0 Führung für Viktoria an.
In der Halbzeit schwor Toku seine Truppe noch mehr auf die Defensive ein, „versucht, so lange wie möglich ein Gegentor zu verhindern, dann könnte heute was drin sein.“ Dass die zweite Halbzeit dann so optimal für seine Mannschaft beginnen sollte, hätte er sich schöner nicht denken können.
Kaum war das Spiel wieder angepfiffen, da stand es 2:0 für Viktoria. Ballverlust im Mittelfeld, Cebrails Makreckis eroberte den Ball und schickte sofort Soufian Benyamina auf die Reise und der trifft. Das war sehenswert, gekonnte Ballmitnahme in vollem Lauf und überlegt abgeschlossen. Sein Bruder Karim saß auf der Tribüne und der Daumen ging nach oben.
Jetzt dehnte sich jede Sekunde für die Viktoria-Fans zu einer Minute. Magdeburg drückte und Viktoria stemmte sich gegen die Angriffswellen. Selbst die Balljungen versuchten mitzuhelfen und postierten sich mit den Ersatzbällen auf der Mitte der Laufbahn und nicht wie üblich an der Rasenkante. Ein Magdeburger Betreuer übernahm, leicht wütend, wenigstens auf Höhe der Magdeburger Bank den Job der Balljungen.
Erst in der 76. Minute gelang der Anschlusstreffer im Anschluss an eine Ecke. Die Zeit dehnte sich weiter, für Viktoria wollte sie überhaupt nicht vergehen. Die Angriffsversuche des Tabellenführers wurden immer verzweifelter. In der Nachspielzeit hatte dann Viktorias Torwart seinen großen Auftritt, er kratzte einen gefährlichen Kopfball von der Linie.
Kurz vor 21 Uhr war es dann vollbracht, der langersehnte Schlusspfiff von Schiedsrichter Richard Hempel erlöste den FC Viktoria und seine Anhängerschaft. Nicht nur für die Akteure, auch für den Schiedsrichter war es ein hartes Stück Arbeit, neun Gelbe Karten musste er insgesamt verteilen, sechs davon sahen die Himmelblauen. Egal, Freudentänze beim FC Viktoria und mittendrin Sportdirektor Rocco Teichmann, der just an diesem Tag seinen 36. Geburtstag feierte.
Mit diesem Sieg rutscht der Aufsteiger wieder auf einen Platz über dem Strich und schöpft neue Hoffnung im Kampf um den Klassenerhalt. Wie einst 1974 in Rotterdam, bestätigte sich die alte Weisheit, dass im Fußball nichts unmöglich ist.
Fußball 3. Liga
32. Spieltag 04.04.2022 19:30 Uhr Jahnsportpark Berlin
FC Viktoria 1889 Berlin – 1. FC Magdeburg 2:1 (1:0)
Mannschaftsaufstellung Viktoria
Sprint – Lewald – Makreckis – Benyamina (71. Falcao) – Ezeh – Kapp – Evina (46. Jopek) – Gunte – Seiffert (60. Theisen) – Pinckert (85. Yamada) – Menz